Archäologische Forschungen mit einer AG “Junge Historiker” im Gebiet “Rund um den Candelaber” bei Altenbergen/Catterfeld (vom 21. November 1962 bis August 1967)

Ausgrabungen auf dem St.Georgsberg („Sin Jörien“)

War mein erstes Dienstjahr als Lehramtsanwärter sowie der zweite Monat des Schuljahres 1962/63 noch stark von den Folgeerscheinungen des Berliner Mauerbaus sowie der Kuba-Krise Ende Oktober 1962 belastet gewesen, so fielen in diesen Zeitraum aber auch zwei Geburtstage, die meinem weiteren Leben und der Gestaltung meiner Freizeit in den folgenden 40 Jahren einen tieferen Sinn geben sollten. Dies waren der 27. April 1961, der Tag der Geburt unseres ersten Sohnes Jörg, der später zu einem meiner aktiven Mitstreiter gehören wird und zu dessen Geburtstag ich ja jenen definitiven Bescheid einer Anstellung als Lehramtsanwärter an der Georgenthaler Schule erhalten hatte sowie der 6. Januar 1962, der 140. Geburtstag Heinrich Schliemanns, des Entdeckers des sagenumwobenen Troja.


Anlässlich des 140. Geburtstages jenes Pioniers der Altertumswissenschaft war dessen Lebensroman „Der Traum von Troja“ von Heinrich Alexander Stoll bereits in der 6. Auflage erschienen. In mehreren Gruppennachmittagen führte ich nun mit meinen Schülern thematische Buchlesungen durch, die hauptsächlich die sensationellen Grabungsergebnisse Heinrich Schliemanns beinhalteten, die seiner Zeit bei allen Schülern große Bewunderung hervorriefen. Diese emotionalen gemeinsamen Erlebnisse sollten schon bald ein reiches kollektives Leben einleiten. Den Schülern wurde bewusst, dass zu solchen Taten großer Fleiß, ein umfangreiches Wissen, eine große Ausdauer und natürlich auch Glück gehören.
Schon Monate zuvor hatte ich im Fach Kunsterziehung die Schüler anhand der Reste des Georgenthaler Zisterzienserklosters als ein wertvolles Baudenkmal der Stilepochen Romanik/Gotik mit der interessanten Kulturgeschichte ihres Schulortes vertraut gemacht. Erstmals erfuhren sie, noch tiefgründiger allerdings die Mitglieder meiner Arbeitsgemeinschaft „Kunsterziehung“, dass seit 1892 besonders der Heimatforscher und Pfarrer Paul Baethcke (1850-1936) in der Ruine der Abteikirche viele Jahre erfolgreich archäologische Nachforschungen durchgeführt hat und hierbei von dem aus Barmen stammenden Architekten G.A. Fischer unterstützt worden war.

Um 1900: Säulensaal des ehemaligen Zisterzienserklosters Georgenthal


„Gedenkblatt in Erinnerung an den Zisterzienserfreund und “Weltreisenden” Pfarrer Paul Baethcke (1850 – 1936).“

Doppelbogenfenster mit Restaurator G.A. Fischer (Barmen)
Foto: Hedwig Perthes, September 1904

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Paul Baethcke am 08. August 1928 in der Abteikirche Georgenthal

Diese Originale befinden sich im Privatbesitz des Autors und werden hier erstmals veröffentlicht.

Meinen Schülern konnte ich aber auch davon berichten, dass schon zwanzig Jahre zuvor, der Geheime Königlich-Preußische Sanitätsrat Dr. Carl Emil Louis Mayer (1829-1890), der eigentliche Vater des Georgenthaler Fremdenverkehrs, im Jahre 1872 das offene Grab vor dem Altar der Abteikirche entdeckt hatte.

In „Erinnerung“ an Dr. Louis Mayer, den bedeutendsten Förderer Georgenthals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

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Dr. Louis Mayer
Ölgemälde

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Diese Originaldokumente befinden sich seit dem 30.08.1972 im Privatbesitz des Autors und werden hier erstmals veröffentlicht.
Als meine Schüler damals erfuhren, dass zur gleichen Zeit (wie Mayer) Heinrich Schliemann (1822-1890) in Troja nach den Schatz des Priamos grub, er dabei 1879 von dem weltberühmten deutschen Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow unterstützt wurde, der in Troja anthropologisches Material sammelte, wurde bei einigen Schülern der Wunsch nach eigenem Forschen geweckt. Doch dass jener Professor Rudolf Virchow (1821-1902) der Schwager des Sanitätsrates Louis Mayer war, erfuhren meine Schüler erst nach dem 30.08.1972. (Anm.: Das Originalbegleitschreiben zu den Originaldokumenten meiner verehrten Parteifreundin befindet sich in meinem Privatbesitz.) An diesem Augusttag vor 30 Jahren hatte mir meine Parteifreundin (LDPD) Frau Sanitätsrat Dr. Helene Mayer Faulborn (†), die Schwiegertochter des Geheimen Sanitätsrates Louis Mayer, einen Teil des Mayerschen Nachlasses „zu treuen Händen“ belassen. Zu diesen gehören auch die folgenden 130 Jahre alten Virchow-Briefe.

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Berlin, 22.10.1872
Lieber Louis,
heute hat die Fakultät beschlossen, Dich zu den weiteren Habilitationsbestimmungen zuzulassen.
Du hast zunächst Deine Probevorlesung zu halten. Willst Du es tun? Ich müsste wissen, wann Du fertig bist.
Freudigen Gruß Dein R. Virchow

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Berlin, 30.11.1872
Lieber Louis!
Ich habe Deine Probevorlesung auf nächsten Dienstag 7:00 Uhr abends angesetzt. Willst Du Dich nun in Pontilicalibus einfinden und etwas recht interessantes vortragen. Es müsste uns (mich) in hohem Grad erfreuen.
Dein treuer Schwager R. Virchow

Vor 40 Jahren hatte auch ich die familiären Zusammenhänge (L. Mayers Schwester Rose („Röschen“) war die Gattin von R. Virchow) zwischen den Arztfamilien Mayer und Virchow noch nicht gekannt. Über die Mayerschen Grabungen in den Georgenthaler Klosterruinen vor nunmehr 130 Jahren konnte ich deshalb meine Schüler seinerzeit nur anhand der Forschungsergebnisse des verdienstvollen Altenberger Pfarrers und Heimatforschers Heinrich Stiehler in Kenntnis setzen. (Anm.: Heinrich Stiehler, Kloster und Ort Georgenthal, 1893)
Doch Stiehlers Buch „Kloster und Ort Georgenthal“ sowie der Schliemann-Roman „Der Traum von Troja“ von Heinrich Alexander Stoll sollten mein Forschen und die Tätigkeit der Mitglieder meiner AG „Junge Historiker“ schon vor dem 21.11.1962 sowie in den kommenden Jahrzehnten sehr stark stimulieren.
(Anm.: Anlässlich der 850-Jahrfeier brachte der Verlag Rockstuhl Bad Langensalza dieses Buch als Reprint heraus. Im Vorwort wird auf unsere Forschungen auf dem St. Georgsberg hingewiesen.)
Jener Altenberger Heimatforscher Pfarrer Heinrich Stiehler berichtete schon vor nahezu 110 Jahren recht anschaulich von einem „Vorläufer“ des Georgenthaler Zisterzienserklosters auf dem St. Georgsberg bei Altenbergen/Catterfeld, der bis zum heutigen Tag im Volksmund „Sin Jörin“ genannt wird. Zu den wohl noch um 1800 sichtbaren Mauerresten schreibt Stiehler: „Und Reste von diesen Mauern haben nicht fleißige Hände wie einst auf dem Altenberg zu Tage gefördert; wohl aber fördern sie wühlende Tierlein (Maulwürfe) noch immer aufs neue zu Tage“)
Und 69 Jahre später setzen wir hier den Spaten an!
Hierfür stimuliert hatte uns letztendlich der am 7. August 1962 verkündete Pionierauftrag für das Schuljahr 1962/63. In diesem hieß es u.a.: „Seid kühn im Denken, erforscht die Geschichte eurer Heimat. Richtet ein Schulmuseum ein! Lest gute Bücher!“ Und nun studierten wir neben unserem „guten Buch“: „Der Traum von Troja“ darüber hinaus ebenso tiefgründig die Buchveröffentlichung des Altenberger Pfarrers Heinrich Stiehler zur Geschichte des Klosterortes Georgenthal aus dem Jahre 1893.
In jenen Oktobertagen des Jahres 1962, in denen die Welt durch die Kuba-Krise an den Rand eines Atomkrieges geraten war, beendeten wir vorerst unser gemeinsames Studium des wohl für alle unvergesslichen Schliemann-Romans „Der Traum von Troja“ mit einer beeindruckenden Diskussion des Nachrufs für Heinrich Schliemann durch den ihm befreundeten Rudolf Virchow. Als Schliemann ab 1872 in Troja zielgerichtet zu forschen begann, war er von deutschen Zeitungen als Scharlatan verhöhnt worden, weil er aus „purer Liebhaberei und ohne akademische Ausbildung“ in Troja graben würde. Virchow, der diese Grabungen 1879 längere Zeit am Ort verfolgt, die schließ lich so erfolgreich verlaufen, dass Schliemann zuerst in der Welt und zuletzt noch in Deutschland zu Ruhm kommt, hatte sich mit seiner entwaffnenden Autorität treu hinter diesen gestellt.
Und wenige Wochen nach Schliemanns Tod (26.12.1890), acht Tage zuvor war Virchows Schwager Louis Mayer verstorben, sprach Rudolf Virchow auf der Berliner Trauerkundgebung den wohl beeindruckendsten Nachruf für den Freund Heinrich Schliemann:
„…er hat Großes gewollt und Großes vollbracht. Er hat die Ungunst der äußeren Verhältnisse durch treue und umsichtige Arbeit zu überwinden gewusst und in aller Bedrängnis des geschäftlichen Lebens die Ideale nicht aufgegeben, welche in die Brust des Knaben gepflanzt waren. Was er erreicht hat, ist von ihm durch eigene Kraft erzwungen worden. Unter allen Wechselfällen ist er sich treu geblieben. Seine einzige Sorge war das Streben nach höherer Erkenntnis.“ (Anm.: Heinrich Alexander Stoll, Der Traum von Troja, S. 21, Leipzig, 6. Auflage 1962)
Dieser eindrucksvolle Nachruf vom Januar 1891 für unser Vorbild Heinrich Schliemann, Schliemanns Streben und dessen Standhaftigkeit sollten nun unsere gemeinsame Spurensuche der kommenden Jahrzehnte maßgebend mitbestimmen.